Melanie Ender

F3, 2025

Sanftes, aber bestimmtes Antippen und Halten sind vertraute Bewegungschoreografien, die den physischen Körper mit dem digitalen Informationsfluss in Verbindung setzen. Das alltägliche Aufrufen von zusätzlichem Wissen, das Vergrößern und Verkleinern von Bildern, das Kopieren von Text oder der Ausdruck von Gefallen an geteilten Inhalten eröffnet sich im Kontext dieser gezielten Berührungen. Sie vollziehen sich materiell gesprochen beinahe spurenlos, ohne permanente Rückstände zu hinterlassen. Ein Kratzen wiederrum geht tiefer unter die Oberfläche und schreibt sich ein, es perforiert und verletzt. Es ist ein prädigitales Agens, das Materialverlust einfordert, um die eigene Präsenz durchzusetzen, und es ist ein analoges Kommunikationsmittel, bei dem sich durch direkte Einschreibung Formen und Zeichen manifestieren. Diese können Spuren von Verletzung und Verletzlichkeit sein, prägen im erweiterten semiotischen Bedeutungsraum aber auch lesbare Vermittlungsträger bis hin zur Schrift aus.

Der Titel der ersten Ausstellung von Melanie Ender in der Galerie Krobath ist eine Handlungsanweisung, wenn auch nur metaphorisch. Die Künstlerin erschließt ihre Prozesse im haptischen Nachdenken, in Interaktion mit dem Material, das sich in Berührungen, Gesten und Setzungen äußert. Sie findet ihr Konstruktionsmaterial, oft Altmetall, auf Schrottplätzen oder in Verlassenschaften und prüft oder rekodiert es im direkten körperlichen Austausch: Aktives Halten, Erwärmen, Biegen, Beschleifen, Durchbohren, Wiegen und (Re-)Positionieren stehen dem vermeintlich Passiven sich halten, erwärmen, biegen, beschleifen, durchbohren, wiegen und (re-) positionieren lassen gegenüber. Dass das gewählte Material im Sinne eines vital materialism der US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Philosophin Jane Bennetts jedoch lebendig und als aktives Gegenüber zu verstehen ist (Jane Bennett, Vibrant Matter. A Political Ecology of Things, 2009), zeigt sich in den jüngsten Arbeiten von Ender, insbesondere der Beschäftigung mit Rost. Rost ist nicht gleich Patina; es ist Symptom eines chemischen Oxidationsprozesses, bei dem sich drei Komponenten treffen und austauschen: Eisen, Sauerstoff und Wasser. Während eine Patina ihren Träger als äußerste Schicht umhüllt und manchmal sogar schützt, dringt Rost in die Tiefe der Substanz ein und bildet ein Äquivalent zum oben erwähnten Kratzen; als fortschreitende Korrosion kann er sein metallisches Trägermaterial bis zur Unkenntlichkeit zersetzen.

Die Lebendigkeit dieses unaufhaltsamen Zerfallsprozesses bringt Ender in ein körperliches Verhältnis zwischen Objekten und Zeichenanordnungen. Sie reibt feinen Roststaub von korrodierten Metalloberflächen direkt auf Leinwände, um abstrakte, intuitiv gesetzte Spuren auszubilden. Die gelösten, porösen Eisenoxidpigmente, die zwischen Orangerot und Brauntönen wechseln, spiegeln die Tiefe der Schleifschichten wider. Die partiell abgeriebenen und so quasi-gesäuberten Metallobjekte komponiert die Künstlerin wiederum zu raumgreifenden Installationen, die in einer fragilen Balance zwischen temporärem Innehalten und eigengewichtiger Permanenz harren. Oder aber sie stehen den zweidimensionalen Bildträgern als prothesenhafte Apparaturen bei und artikulieren präzise konstruierte Linien, die erneut auf die Relevanz von Sprach- und Zeichensystemen verweisen. Auch die bislang selten gezeigten Zeichnungen Enders zeugen von ihrer tieferen Beschäftigung mit Rhythmus, Semiotik und Taktilität. gently tap, hold and scratch rekurriert schließlich auf ein performatives Arbeiten, in dem sich das feinfühlige künstlerische Tun untrennbar mit den skulpturalen Qualitäten der erzeugten Konstellationen verbindet.

Andrea Kopranovic

Werke

Werke

Biografie

lebt und arbeitet in Wien (AT).

1984 in Wien (AT) geboren
2006 – 2013 Universität für angewandte Kunst Wien (Gabriele Rothemann, Hans Schabus)
2013 Diplom Universität für angewandte Kunst Wien

Preise

2023 Förderungspreis der Stadt Wien
2022 Förderungspreis der Stadt Wien
2022 Staatsstipendium für Bildende Kunst (BKA Kunst und Kultur)




Einzelausstellungen

2025gently tap, hold and scratch, Galerie Krobath, Wien, AT
2024never exhausted semiotics, Kunstraum Super, Wien
2021mittig unter oben links, Neue Galerie Graz, Studio, Universalmuseum Joanneum
smooth, so surface! oh yeah…, MUSA Startgalerie, Wien
2016shaping thoughts of stones, kaeshmaesh, Wien
2014LUDO, Galerie artunited, Wien
2013Räumlicher Rekonstruktivismus oder die Instabilität des Raumes, Offspace Spenglerei, Wien
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Gruppenausstellung

2025Irregular News, (Sofie Thorsen, Jenni Tischer, Melanie Ender) Petra Rinck Galerie, Düsseldorf
2024a suitcase project, picture gallery New York
Material.Leidenschaft, Wienmuseum MUSA, Vienna
2023Od Œuvre de Pampelmuse, Galaxie Neuer Künste, Halle an der Saale 
2022MEGA, casalu, Ausstellung und Residency Aufenthalt, Mexico City
2021ippst, ippst (siehe ipst, ipt) (Melanie Ender, Sebastian Koch), Dock20, Lustenau
Sprachbilder I Bildsprache, Galerie untitled projects, Wien
Konkrete Poesie und so, Kunsthaus Mürz, Performative Lesung
2020PFERD-openstage, Pferd. Forum Wien
Sculpture Garden, Galerie Kandlhofer, Klosterneuburg
Über das Neue, Belvedere 21
2018to open closed forms, unttld contemporary, Wien
2017fall session, CRYPTA 747, Turin
TYPE, PLEASE! curated by Sabine Folie / Vienna 2017, Galerie Raum mit Licht
SPATIAL CONCEPTS, Ausstellung und Performance: parting the square, Fotogalerie Wien
2016Dienstag Abend -> No. 84, Wejherowska 34, Wrocław, Polen
TOPIA, Pferd. Forum Wien
2015to space to place, Schleifmühlgasse 12-14, Wien
SUPER EDITION #4, Kunstraum SUPER, Wien /EKKISENS Art Space Reykjavik
#4 Reports from species of spaces, curated by Sabine Folie, wellwellwell, Wien
2014on behalf in the midst of the group, Kunstraum SUPER, Wien
2013B=H+M=K+S=K=Ex=, Friday Exit, Studios Sammlung Lenikus, Bauernmarkt 9, Wien
The Essence, Künstlerhaus Wien
Skulpturinstitut, an der Hülben 3, Wien
2012Realm, Heiligenkreuzerhof, Wien
2011The Essence, MAK
no more luggage, Cistern Galleries, Tophane-I Amire Culture and Arts Center Istanbul
2010Les Nuits Blanches, das weisse haus, Wien
unORTnung VI, ehemaliges kartografisches Institut Wien
2009A Piece of Water, Künstlerhaus Wien
Zwischenspiel II, Vertikale Galerie, Wien
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