Curated by 2022 "KELET"
Über die Ausstellung
kuratiert von Klaus Speidel
Mit Werken von:
Katarina Burin / Jiří Kolář / Jiří Kovanda / Dominik Lang / Lene Lekše / Dita Pepe / Malenkiy Piket
“Ob ein Akt der Interferenz gut oder schlecht ist, ist ein Werturteil, das sich logisch aus der Art der Einmischung und ihren Zielen herleiten lässt.“ – Richard W. Cottam, Amerikanischer Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der C.I.A., 1967
„Die Begriffe und all die kleinen tropischen Regenfälle der Demoralisierung, Desorganisation, Zerstörung und den Zusammenstoß der Sinngebung in Unordnung zu bringen…“ – Tristan Tzara, Rumänischer Künstler, 1920
Über 70 Länder setzen Cyber-Truppen ein, die Propaganda verbreiten und Desinformation industrialisieren. In diesem Kontext untersucht die Ausstellung Interferenz. Spuren, Geschichten und Gespenster, die Störung als Strategie in der Kunst. Es ist sicher kein Zufall, dass Interferenz gerade in der Ära des Kalten Krieges in den 60 und 70er Jahren zugleich als Methode psychologischer Kriegsführung und künstlerischer Unruhestiftung zur vollen Entfaltung kam. Dennoch unterscheiden sich künstlerische und staatliche Interferenzen grundlegend in ihren Ausgangspunkten und Zielen. Die oft spielerischen Akte künstlerischer Einmischung sind nicht destruktiv, sondern produktiv. Ihr Antrieb ist Fantasie, nicht Befehl. Ihr Ziel ist gesellschaftlicher Fortschritt, nicht Erhalt oder Ausweitung von Macht. Als Eingriff in den gewöhnlichen Lauf der Dinge, bringen sie unsere Automatismen ins Stocken und reizen zum kritischen Denken oder Widerspruch. Anstatt Viralität und Klickraten verfolgen sie Singularität und Entschleunigung. Eingriffe in den öffentlichen Raum wie die Jiří Kovandas in der Tschecheslowakei der 1970er Jahren, spielen dabei eine besondere Rolle. In der Galerie verwandelt er gewöhnliche Gegenstände durch minimale Eingriffe, sägt ein Stuhlbein ab oder führt Sockel einer neuen Verwendung zu. Seine Performances fallen vornehmlich dadurch auf, dass sie nicht auffallen. An eine Barriere gelehnt, macht er scheinbar natürliche Gesten, folgt dabei aber einem Skript, oder er kehrt Schmutz zusammen und verstreut ihn wieder. Er baut keine großen Marmordenkmäler für die Ewigkeit, sondern kleine Skulpturen aus Zuckerwürfeln, die beim nächsten Regen vergehen oder fügt Keile, die normal hinter der Leinwand stecken, zwischen Bodenziegeln ein. Expliziter, aber mit den gleichen Mitteln, operiert Malenkiy Piket (russ.: Kleiner Demonstrant) seit Februar 2022 – also 50 Jahre später – in einem ähnlich repressiven Klima, nämlich dem gegenwärtigen Russland. Als Vladimir Putin jegliche Demonstration und Äußerung gegen seinen Ukrainekrieg verbot, rief ein junger russischer Künstler diese Initiative in Sankt Petersburg ins Leben. Das partizipative Projekt hat sich seitdem weit über die Landesgrenzen hinaus verbreitet. Die Idee ist einfach: Wenn wir nicht mehr mit dem eigenen Körper im öffentlichen Raum demonstrieren dürfen, tun dies Stellvertreter*innen für uns, nämlich kleine Figuren aus Knete oder anderen Materialien, die diskret an öffentlichen Orten platziert werden. So bleibt nicht nur der Dissens in der Öffentlichkeit sichtbar, sondern – das ist jedenfalls die Intention des Initiators – die Menschen verlieren ihre Fähigkeit zu protestieren nicht vollkommen. An die Stelle der schwarz-weiß Photographien Kovandas, tritt hier Instagram (@malenkiy_piket) als Ort der Sichtbarkeit. Bis September 2022 sind dort bereits über 900 Bilder eingegangen. Auf einem Paperboard in der Ausstellung ist nun erstmals auch die konzeptuelle Basis der Aktion zu sehen. Knete und weitere Materialien laden Besucher*innen im Positive Interference Lab dazu ein, eigene Protestfiguren zu Themen zu entwerfen, die ihnen wichtig sind und im Labor oder im öffentlichen Raum zu platzieren (Social Media Posts dürfen mit #positiveinterferencelab getagt werden). Der Gefahr, der sich die Aktivist*innen im heutigen Russland aussetzen, ist Jiří Kolář bereits 1953 erlegen: Der Autor und bildender Künstler, kam für seine literarischen Texte 9 Monate ins Gefängnis. Nur dank einer Begnadigung blieb ihm ein weiteres Jahr erspart. Wenn er Textausschnitte neu kombiniert und damit gewöhnliche Gegenstände vollkommen überzieht, überschreitet Kolář Grenzen zwischen Kunst und Alltag, Dichtung und bildender Kunst. Anstatt die großen Werke der Kunstgeschichte zitierend zu feiern, zerschneidet er Kunstdrucke und fügt sie neu zusammen, malt Regenbogen in Kunstdrucke oder kommentiert aktuelle Geschehnisse wie den Einmarsch der Sowjetunion in seinem Heimatland mit Hilfe historischer Bilder wie der Vertreibung aus dem Paradies von Masacchio. In diesem Sinne geht künstlerische Störung auch mit der Infragestellung der existierenden Wertverhältnisse einher. Bei Dominik Lang hat die zerstörerisch-schaffende Aneignung eine besonders persönliche Dimension. Arbeitet er sich doch am Werk seines Vaters Jiří Lang (1927 – 1996) ab, dessen Skulpturen und Zeichnungen der offiziellen Kunstdoktrin in der Tschechoslowakischen Republik zu sehr widersprachen, um Sichtbarkeit zu erlangen. Jiří Langs Zeit war vorbei, noch bevor sie gekommen war. Anstatt den Nachlass seines Vaters nun als Zeitdokument zu konservieren, hält Dominik Lang ihn am Leben, indem er ihn in die eigene Arbeit einbindet. Er setzt zerrissene Papiere des Vaters neu zusammen oder stellt ein Zwiegespräch zwischen einer eigenen Skulptur und einer Zeichnung des Vaters her. Wenn der Sohn die Arbeiten des Vaters mit seinen kombiniert oder sie kommentiert, setzt er sich mit der persönlichen Geschichte und der Geschichte der Kunst gleichermaßen auseinander. Auch bei Katarina Burins Arbeit zur modernistischen Architektin Petra Andrejova-Molnár (1899–1985), steht ein Nachlass im Zentrum. Die Ausstellung wird im Laufe der Zeit immer wieder neue Versuche des Kurators zeigen, des wertvollen Archivs habhaft zu werden, das Burin erstellt und ihm aus Cambridge übersandt hat, um es zu präsentieren. Eine scheinbar unendliche und ungeordnete Anzahl von Farbtests, Drucken, Architekturentwürfen und Fotografien, vermitteln ein Gefühl für das Leben und Schaffen einer wichtigen, aber unterdrückten, weiblichen Position der modernistischen Architektur. Man kann sich nur wünschen, sie hätte wirklich existiert und wäre nicht von Katarina Burin erfunden worden, um die Rolle der Frauen im Modernismus und die Produktion von Geschichte zu reflektieren. Ähnlich wie Burin, aber formal und inhaltlich anders entwickelt Dita Pepe mit Betynka (2022) eine Spurerzählung, die zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem oszilliert. Das Interview mit der Protagonistin erschließt langsam eine Biographie, in die sich die Künstlerin so radikal empathisch einfühlt, dass sich ihre eigene Lebensgeschichte schließlich mit der Betynkas vermischt und wir nicht mehr wissen, wo Betynka endet und Dita beginnt. Um vermischte Biographien geht es auch bei ihren Selbstporträts mit Frauen und Selbstporträts mit Männern, in denen Pepe sich in das Leben der anderen hineinfotografiert. Auch Lene Lekše inszeniert eine Spurerzählung. Aus den Indizien ergibt sich dabei die Geschichte eines verschwundenen Berges in den Niederlanden, dessen Verlust ein Austausch in einer geheimen Sprache, die aus Pfiffen besteht, und ein seltsames Volkslied beklagen. Das Lied über den Verlust des imaginären Berges antizipiert unsere Trauer über das Verschwinden der realen Natur. In einer Serie von Zeichnungen versucht die Künstlerin, dem Berg eine Form zu geben, wobei sie immer und immer wieder scheitert.
„Wir lassen uns nicht hindern zu gestalten, was uns hindert zu gestalten“, ein Satz Karl Kraus’ könnte zum Motto dieses Werkes wie auch der Ausstellung werden. Das Positive Interference Lab (PIL) lädt dazu ein, die Interferenzprozesse, die von den Werken angestoßen werden, weiterzuführen. Mit Stiften, Knete, einem Paperboard und einem Computer mit Drucker wird es zu einem Ort, an dem künstlerische Impulse zu kunstbasiertem Denken und Handeln werden können. In dieser Interferenzentrale im Herzen Wiens, kann – unter Anleitung von Künstler*innen, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen oder auf Eigeninitiative – an Interferenzstrategien getüftelt werden, so dass aus der ästhetischen Anschauung künstlerisch-politisches Handeln wird. Workshops wie „Interfering with the Self“ oder „Interfering with Artificial Intelligence“ sind bereits geplant. Wie in der Ausstellung, wollen wir hier mit Gegenerzählungen, historischem Storytelling, nationalen Geografien, Kunstgeschichte, unserer (Auto-)Biografie und fröhlicher Geisterbeschwörung experimentieren.
Katarina Burin (* in Bratislava/lives in Cambridge, Massachusetts)
Lene Lekše (*1995 in Ljubljana/lives in Ljubljana)
Dita Pepe (*1973 in Ostrava/lives in Ostrava)
Jiří Kolář (*1914 in Protivin/ died in Prague in 2002)
Jiří Kovanda (*1953 Prague/ lives in Prague)
Dominik Lang (*1980 Prague/ lives in Prague)
Malenkiy Piket (project, founded in February 2022 in St. Petersburg)
Positive Interference Lab (project, founded in Vienna in September 2022)
CURATED BY TOURS
Saturday, 10 09.2022, 12 pm
Tuesday, 20 9. 2022, 4-6 pm
WORKSHOPS POSITIVE INTERFERENCE LAB
Tuesday, 6. 9. 2022, 4 pm:
Positive Interference Lab #1: Searching Songs for an Invisible Mountain,
with artist Lene Lekše and singer Clemens Seewald
Saturday, 10. 9. 2022, 12 pm:
Curator’s Tour #1 (on site),
with curator Klaus Speidel
Tuesday, 13. 9. 2022, 6pm:
Curator’s Tour #2 (on site and instagram live),
with curator Klaus Speidel
Friday, 16. 9. 2022, 4 pm:
Positive Interference Lab #2: Interfering with the Self,
with narratologist Klaus Speidel, Zoom-Call
Friday, 23. 9. 2022, 4 pm:
Positive Interference Lab #3: Interfering with Politics: Developing our Protest Muscles,
with a member of Malenkiy Piket
Thursday, 29. 9. 2022, 6 pm:
Curator’s Tour #3 (on site and instagram live on @galeriekrobathwien),
with curator Klaus Speidel
Friday, 30. 9. 2022, 4 pm:
Positive Interference Lab #4: Interfering with Artificial Intelligence,
with artist Claudia Larcher
Thursday, 6. 10. 2022, 5 pm:
Positive Interference Lab #5: Interfering with the Media. Art in the Age of Fake News,
with researcher Anna Longo
Friday, 7. 10. 2022, 4 pm:
Positive Interference Lab #6: Interfering with History,
an artist talk with Katarina Burin, Zoom-Call
To participate in a workshop, please sign up by sending a message to office@galeriekrobath.at, specifying the workshop you want to participate in.
All workshops will be facilitated by Klaus Speidel and mostly take place in English. Participation is free within the limit of the spots available.
Further workshops and will might be announced via the social media channels of the gallery (Instagram: @galeriekrobathwien) and the curator (Instagram: @dirtytheory). Feel free to send photographs of your own pikets to office@galeriekrobath.at – we would love to display printouts in the PIL – or tag us on Instagram (@galeriekrobathwien @dirtytheory).
Krobath Wien
Eschenbachgasse 9
1010 Wien
Weitere Informationen: