UGO RONDINONE
Die Serie von Gemälden des Künstlers Ugo Rondinone, bekannt als “MATTITUCK”, besteht aus Aquarellen auf Leinwand, die seit 2019 entstanden sind. Jedes Bild zeigt entweder den Sonnenaufgang, den Sonnenuntergang oder den Mond am Himmel, wie er vom Haus des Künstlers in Mattituck, NY, zu sehen ist. Die Kompositionen sind reduziert und in nur drei Farben gehalten.
„Wie ein Tagebuch zeichne ich das lebende Universum auf. Diese Sonne, diese Wolke, dieser Regen, dieser Baum, dieses Tier, diese Jahreszeit, dieser Tag, diese Stunde, dieser Wind, diese Art von Erde, diese Art von Wasser, dieses Geräusch im Gras, diese Windstärke, diese Ruhe.“ ( Ugo Rondinone)
curated by 24hdrop. – Annabell Häfner, Martin Kacmarek, Jochen Mühlenbrink
Einatmen. Ausatmen. Innehalten.
Meditationsmantras sind spätestens seit dem Jahr 2021 zu spirituellen Leitfäden geworden, die uns angesichts der überwältigenden Beschleunigung des gegenwärtigen Lebensalltags zur Ruhe zwingen. Damit scheint gerade jetzt auch die Strömung des New Age Healing an Bedeutung zu gewinnen, wo im Gegensatz zu den Leitbegriffen der Moderne – Akkumulation, Mobilität und Schnelligkeit – das aufkeimende Bedürfnis nach Selbstfürsorge, Achtsamkeit, und Eskapismus im Vordergrund stehen. Introspektion und Meditation nach den Lehren Marc Aurels statt zügellose Exzesse und Fremdbestimmung. In Anbetracht des Weltzustands durchdringt eine Sehnsucht nach Nostalgiebildern und Rückzugsorten unser kollektives Bewusstsein. Stillstand schenkt Zeit. Oder nicht?
Die von 24hdrop kuratierte Ausstellung „What are we looking for when time stands still?“ widmet sich anhand der Arbeiten von Annabell Häfner, Martin Kacmarek und Jochen Mühlenbrink der Frage nach jenen kontemplativen Zwischenzuständen, die aber nicht zuletzt auch eine fatale Lähmung bedeuten können. Denn gerade eine gesunde Skepsis gegenüber dem Stillstand scheint durchaus wichtig: Für die einen eine willkommene Atempause, für die anderen ein ewig anhaltender Groundhog Day. Vergangenheit und Zukunft verschmelzen zu einer Endlosschleife, aus der es angesichts veralteter Machtverhältnisse keinen Ausweg zu geben scheint.
Esoterische Farbspiele und verschwommene Formen kennzeichnen Annabell Häfners Bilder, in denen Strukturen verschwinden und transparente Visionen von Nicht-Orten entstehen. Ihre atmosphärischen Gemälde existieren als Orte des Transits: Hotels, Flughäfen, Bahnhöfe und Wartehallen, die sich in einem ständigen Wechselspiel von flüchtigem Kommen und Gehen befinden. Ausgehend von intimen Erinnerungen schafft sie Sehnsuchtsorte, an denen die Zeit still steht, um für einen kurzen Moment der Hektik des Lebens zu entfliehen.
Jochen Mühlenbrink greift nostalgische Szenen auf, die wir noch aus unserer Kindheit kennen: Das Malen auf Fensterscheiben bei Regenwetter während endlos langer Autofahrten. Landschaften, die einst sichtbar waren, verschwinden allmählich im Nebel der Scheiben. Mühlenbrink ist ein Eskapist, der in seinen Bildern mit der Trompe-l’œil-Technik Phantasie und Realität malerisch verbindet und durch den illusionistischen Effekt unendlich neue Weiten entstehen lässt, wo Zeit und Raum kollidieren.
Mit seinen Bildern entführt uns Martin Kacmarek in eine vergangene Malerei, in eine ländliche Umgebung, in der die Zeit still zu stehen scheint und die ewige Ausdauer, die das bäuerliche Leben erfordert, zum Vorschein kommt. Müde wirken die Protagonistinnen bei der Arbeit oder in der Pause, dennoch kraftvoll und stolz. Kacmarek hüllt die Leinwand in eine fast düstere Atmosphäre, die zugleich an den Beginn und das Ende eines anstrengenden Arbeitstages erinnert. Die Airbrush-Technik verleiht den Bildern fast fotografische Qualitäten, während andere Details übertrieben grotesk wirken – in Anspielung auf Videospiele. Im scheinbar unausweichlichen, ewig gleichen Alltag gelingt es Kacmarek, die Schönheit des Lebens, die sich in flüchtigen Gesten verbirgt, auf die Leinwand zu bringen.
Text: Oona Zyman
Julian Opie
Letzten Sommer sind wir in der Stadt festgesessen, und da fiel mir auf, wie es sich die Leute überall in den Londoner Parks bequem gemacht haben. Ihre Körper nahmen unterschiedlichste Positionen ein und wirkten dabei gleichzeitig recht plastisch und doch sehr menschlich. Jedes Grüppchen wirkte auf seiner Weise sehr klassisch, und das erinnerte mich an Manets berühmtes Bild. Unsere Körper und Gliedmaßen, die Schwerkraft und das Gleichgewicht, all das lässt nur eine begrenzte Anzahl an Positionen zu, in denen wir uns entspannen und gleichzeitig miteinander interagieren können. Ich tat so, als würde ich eine SMS schreiben und fotografierte dabei heimlich diese Grüppchen mit meinem Handy.
Dann lud ich meine Tochter und drei ihrer Freunde in mein Studio ein und bat sie, verschiedene legere Outfits mitzubringen. Ich bat sie dann die Positionen nachzustellen, die ich in den Parks gesehen hatte. Mein Assistent und ich haben sie von allen Seiten fotografiert, und ich versuchte sie dann mit einfachen Linien nachzuzeichnen, als wären sie Möbelstücke.
Wie sich herausstellte, war das nicht so einfach. Ich bin es gewohnt, Fotos als eindimensionale Bilder nachzuzeichnen, aber diesmal war es anders. Wir luden die Modelle nochmals ins Studio ein und scannten ihre Körper mit einer iPhone-App. Das funktionierte besser, da die App die Verzerrungen der Fotografie vermeidet und viel mehr Information wiedergibt. Trotzdem war es schwierig, und ich musste mehrmals meine AssistentInnen bitten, meine Zeichnungen in 3D-Computermodelle umzuwandeln, die ich dann im Raum drehen und positionieren konnte. Jedes der vier Modelle nahm in seinen verschiedenen Outfits die verschiedenen Posen ein, die ich im Park beobachtet hatte, und so entstanden nach und nach rund 24 Figuren. Ich wollte diese Figuren dann in unterschiedlichen Posen wie bei einem Picknick in Gruppen arrangieren.
Ich stellte diese Statuen in eine virtuelle Galerie und verwendete VR-Brillen, um zu ihnen in den Raum zu treten. Mit dem Programm konnte ich alle 24 Figuren sehen und sie in Vierergruppen zusammenstellen. Bisher waren meine Statuen immer flach, wie ausgeschnittene Zeichnungen. D.h. ich konnte sie aus flachen Materialien wie Sperrholz-, Bronze- und Aluminiumplatten ausschneiden oder, wie zuletzt, sie ausgehend von geraden Linien aus Stahlträgern und Holzbalken bauen. Aber rechtwinkelig geschnittene Materialien funktionierten nicht bei diesen in verschiedene Richtungen gebogenen neuen Figuren. Es ist schwer zu erklären, aber man kann ein eckiges Rohr nur in eine Richtung schneiden und abwinkeln, sodass man eine bündige spitze Ecke bekommt. Sobald man versucht, da eine Drehung hineinzubringen, ist die Ecke nicht mehr bündig. Die einzige Lösung war, runde Rohre zu verwenden, die man schön sauber in alle Richtungen abwinkeln kann. Das war eine Erleuchtung für mich. Und plötzlich sah ich überall runde Rohre: Als glänzend schwarz lackierten Handlauf bei den Stiegen runter zur U-Bahn. Als glänzend weiß lackierte Absperrung in einem Fußballstadion oder als Edelstahl-Ringe am Gehsteig, an denen man das Fahrrad anhängen kann. Mit der Technik der runden Rohre war fast jeder Winkel möglich, und somit konnte ich auch Kurven darstellen.
Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit Holzstatuten aus Indonesien aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diese wurden von austronesischen Volksstämmen in Borneo und Sulawesi sowie Vietnam und Sumba hergestellt. Diese Figuren sind alle sehr frontal, wobei mir bei manchen aufgefallen ist, dass die Knie gebeugt waren. Ich fand dann auch Figuren, deren Körper in der Hockerstellung waren. Das brachte mich auf die Idee, mit meiner seit Jahren verfolgten Arbeit mit flachen Materialen zu brechen. Ich beobachtete jetzt die Leute um mich mit anderen Augen und merkte, dass ihre Körperhaltung und Gliedmaßen andere Möglichkeiten eröffneten und komplexe flächige Faltungen zulassen. Auf dem Flughafen sah ich Menschen, die sich stehend oder hockend an die Wand lehnten. Und das brachte mich auf die Idee, alternativ zu den anderen Figuren eine Gruppe von Figuren zu entwerfen, wo sowohl der Boden als auch die Wand als Stütze für die Figuren zum Einsatz kommen.
Normalerweise stellt ein Künstler seine Gemälde oder Skulpturen in einer Galerie aus, wo sie von Besucherinnen und Besucher besichtigt werden, die sich ebenfalls im künstlerischen Raum befinden, aber in einem anderen, parallelen Sinn. Ich wollte den Raum mit Darstellungen von den BesucherInnen selbst vollstellen. Ich habe vor, die Galerie so mit Figuren zu bevölkern, als wäre sie ein öffentlicher Park oder ein Warteraum.
Text: Julian Opie
Eröffnung: 11 Juni 2022
Ausstellungsdauer: 11 Juni – 31 August 2022
Sophia Süßmilch
Sophia Süßmilch und die Ausstellung des Kleinen Mannes (Selbstbildnis mit Krokodil)
Pain, oida. So einen Pain wie diese Sophia Süßmilch in ihrem Kopf musst du erst mal haben.
Aber macht nix, wir verrotten ja alle irgendwie. Im Kapitalismus, und da ist ja der Kunstmarkt das Allerärgste, da muss funktionieren, muss muss muss, tack tack tack.
Und als Künstlerin, da musst du ja überhaupt die Allerbeste sein, etwas ganz Besonderes, hervorstechen aus der grauen Masse der Individualistensäue.
Da entsteht ein Druck, schon wenn du früh morgens die Äuglein aufmachst müssen dir die genialsten Gedanken kommen, wenn du dich mal fünf Minuten zu Ruh legen willst, dann ham sie dich schon alle überholt.
Ganz gewiss nicht darfst du es machen wie der kleine Mann: ein Leben führen. Bestehend aus vielen Teilen, die sich alle unterscheiden und abwechseln, bis das Leben wieder vorbei ist, alles normal.
Das Leben war vorbei in dem Moment als sie die Mappe für die Kunstakademie abgegeben hat.
Bäm Bäm Bäm, Süßmilch, komm hau die Brüste raus, ist dieses painting schon verkauft.
Der Pressure sitzt, jetzt wo die Frau bald 40 ist, fest in ihrem Schädel.
Denn auch wenn Sie ein Göttin sein möchte, sie ist doch nur ein Menschlein mit ihrem kaputten Schädel, der Ideen spucken muss.
Da fetzen die Bilder da faucht die Muschi, es rauschen die Nerven, noch spürt das Herz.
Der Glaube sitzt da in ihrem Herzen, dass geboren zum Genie sie nicht ist, dennoch, vielleicht, wenn Sie sich ganz ganz arg anstrengt, dann.
Hätte man sie doch nur einmal zur Klassensprecherin gewählt in ihrer Kleinstadt, es wäre die ganze Nummer mit Künstlerin pi pa po erspart geblieben.
Das Leben ist Leiden, ist Schädlweh: sitzt da festgebissen wie ein Krokodil das zu faul und zu blöd zum Laufen ist. Mappe abgegeben, Festgeschnappt. Hat es sich und sitzt seitdem dort.
Kennt ihr es schon? Kennt ihr es auch? In meinem Schmerz, da möchte ich nicht alleine sein.
Nicht musst du alleine sein, Sophia Süßmilch, weil ich bin du und du bist ich, ach sind wir nicht alle nur der Kleine Mann. Nur so ein Gedanke, Süßmilch, mitten im Schmerz, da sitzt er doch, der Gedanke „Kleiner Mann“ , der ist bei dir und ihr seid ohne Einsamkeit. Es ist der Gedanke, der zählt.
Sei Göttin, sei gut und normal, sagt er.
Das ist schön
Wir sind jetzt hier, Krokodil, Mann und ich.
Und im Pain
Da muss man nicht alleine sein.
Da teilen wir auf, weil gemeinsam ist man stark.
Kapitalismus freut sich auch, weil Arbeitsteilung Optimierung ist.
Der erste Gedanke des Tages muss stets sein:
Je suis moi, je suis toi, je suis Der kleine Mann.
Text: Sophia Süssmilch
PERFORMANCE:
“Lustiges Ostereier suchen”
mit Sophia Süßmilch und ihrer Mama
mit Felix Burger und Vito Baumüller
14. April 2022, 19 Uhr
Hertha Hurnaus
Untergründig
Oben glitzern die Luster, alles drängt ins Rampenlicht. Unten ist es still und kühl, ohne Prunk und Publikum. Zwölf Meter unter dem Wiener Null spielt es keine Rolle, welche Vorstellung oben gerade läuft. In den Tiefgeschossen der Ringstraßenbauten bleiben die dienstbaren Räume still unter sich. Hier, an der Unterseite des Geschehens, vollzieht sich die Mechanik der Vorgänge unbemerkt. Diese Unmerklichkeit ist ihr Zweck, geht es doch in den geräuschempfindlichen Monumentalbauten vor allem um haustechnische Reibungslosigkeit, um lautlose Frischluftversorgung, Heizung und Kühlung, darum, dass in den Prunkräumen oben niemandem der Atem ausgeht.
All die Lüftungsgänge, Frischluftschleusen und Kapillarschächte, Requisitenmagazine und Kulissendepots, Heizzentralen und Zisternen bilden unter der Ringstraße eine Welt für sich, mit einer eigenen Ikonografie und Monumentalität, die sich an niemanden wendet. Diese Räume repräsentieren nicht, sie sind.
Wer in diesen Untergrund abtaucht, bewegt sich durch die Glieder eines riesigen Apparats und macht sich automatisch zum Komplizen einer Mechanik, die das Funktionieren der Prachtbauten sichert. Mit Selbstverständlichkeit setzt das technische Personal im tiefsten Kellergeschoß die Abläufe in Gang, öffnet im richtigen Moment die Schleusen, kurbelt an einem Zahnrad, kennt jeden Winkel im Geflecht einer vielfach geflickten Infrastruktur. Vereinzelt herumstehende Truhen, Sessel und Bänke zeugen von menschlichem Aufenthalt, beiläufig und ohne Anspruch zu bleiben. Bisweilen taucht unvermittelt die heimelige Nische eines Arbeitsplatzes auf, Tisch, Stuhl, Lampe, Jause, fern jeden Tageslichts, surreal in seiner Normalität. Oft muss man nur eine unscheinbare Tapetentür durchschreiten, um sich auf der Hinterbühne eines Historismus wiederzufinden, dessen Fassade sich als papierdünne Kulisse erweist. Hinter und unter der Bühne, auf der „Wien“ aufgeführt wird, findet die perfekt ausgeleuchtete Inszenierung der Ringstraße ihr Gegenstück. Schächte und Gänge, kathedralenhafte oder klaustrophobische Tunnel der Zirkulation, verschlungene Wege der Frischluft von irgendwo nach irgendwo, aufgeladen mit Nichts. Selbst in den Räumen, die nur ihr vorbehalten sind, bleibt die Technik oft rätselhaft oder ganz unsichtbar. Kabel und Rohre tauchen auf und verschwinden wieder, rostige Scharten im Boden zeugen als archäologische Spuren von obsoleten Turbinen. Dazu mischen sich Spuren der Geschichte, die hier nicht überschminkt wurden. Notizen an den Wänden, Pfeile zu Fluchtwegen der Vergangenheit, längt vergessene technische Geheimcodes. Der Untergrund des Rings – ein Reservat der verdrängten Erinnerungen.
Gabriele Kaiser, Maik Novotny
Gerwald Rockenschaub
Die Galerie Krobath freut sich, die erste Einzelausstellung von Gerwald Rockenschaub (*1952 in Linz, lebt und arbeitet in Berlin) in ihren Räumen zu zeigen. Unter dem Titel „astrobot(n)ic / philanthropic / this/that interlude (vision)“ präsentiert Rockenschaub eigens für diesen Anlass entstandene Arbeiten, die zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit changieren und in denen der Künstler seine wahrnehmungspsychologische Untersuchungen weiterführt. Da wären zum einen großformatige Intarsienbilder aus Plexiglas, bei denen unterschiedliche Elemente derart passgenau zu einem Motiv zusammengesetzt sind, dass sie zu einer einheitlichen Ebene verschmelzen, was sich allerdings erst bei genauem Hinschauen erschließt. Die Frage, was hier eigentlich zu sehen ist, wird auch in der neuen Werkgruppe der Gravurenbilder behandelt. Sie gehören zu den subtilsten Arbeiten von Rockenschaub. Auf den ersten Blick scheint es sich um monochrome Plexiglasbilder zu handeln, deren glatte Oberflächen den Umraum reflektieren. Wechseln die Betracher*innen jedoch den Standpunkt, offenbaren sich fein-gefräste Zeichnungen, die verschiedene Assoziationen hervorrufen.
Je nach Position und Lichteinfall ändert sich bei den Gravuerenbildern also das, was wir sehen oder zu sehen glauben. Das kann man politisch verstehen, etwa als Aufforderung, immer mal wieder die Perspektive zu wechseln. Aber auch eine andere Lesart wäre denkbar, wofür der Ausstellungstitel spräche: „astrobot(n)ic / philanthropic / this/that interlude (vision)“ wirkt wie Klangpoesie, deren Worte wie die minimalistischen Lineaturen der Gravurenbilder unzählige Verbindungen zur Realität ermöglichen. Aufgrund der rhythmischen Betonung kann man sich den kryptischen Slogan aber auch sehr gut als gerappten Refrain in einem Stück elektronischer Clubmusik vorstellen. Dann wären die neuen Gravurenbilder von Rockenschaub so etwas wie visuelle Musik oder musikalische Visionen, die uns in Bewegung setzen – und am Ende vielleicht sogar zum Tanzen bringen.
Caroline Corleone | Theresa Eipeldauer | Anna Meyer | Muntean/Rosenblum | Haleh Redjaian | Esther Stocker | Katja Strunz | Sofie Thorsen | Jenni Tischer
CAROLINE CORLEONE
Geboren 1982 in Erlangen, D. Lebt und arbeitet in Berlin, D.
Caroline Corleones Kunst greift die grundlegenden Malbewegungen der letzten Jahrzehnte wie abstrakten Expressionismus oder Farbfeldmalerei. Da sie am Puls der Zeit ist, findet sie Inspiration in postmedialen Strategien des Kopierens und der digitalen Montage. Sie verwendet gerne Stoffe, spielt wild mit Mustern oder „malt“ mit ihrer Nähmaschine auf Leinwand. Ihre Kunstwerke ziehen den Bogen zwischen Realem, Digitalem und Gemaltem: Künstliche Formen nachgeahmter Natur treffen auf urbane Interventionen, abstrakte Pinselstriche kreuzen Fragmente und Reste sich wiederholender digitaler Muster.
Die neue Werkserie ist inspiriert von Textilentwürfender Künstlerin Mathilde Flögl (Wiener Werkstätte).Die mehr oder weniger zufälligen Formen der Textilzuschnitte Flögls aus dem MAK Archiv (vor Ort Recherche im Februar 2019) sind der Ausgangspunkt für neue Kompositionen, erweitert mit grafischen „Zeichnungen“ per Nähmaschine.Die Pattern Serie PPI* findet in der Flögl Serie eine Weiterführung, indem gegebene Pattern als fragmentarische Stellvertreter in blow ups als eigenständige künstlerische Arbeiten Form finden.
THERESA EIPELDAUER
1985 geboren in Wien, A. Lebt und arbeitet in Wien, A.
Die bildnerische Reichweite der von Theresa Eipeldauer eingesetzten Formensprache durchkreuzt eine Fülle von Materialien und technischen Prozessen, die auf das Primat der Zeichnung und der Malerei zurückzuführen sind, diese Medien jedoch in unterschiedlicher Weise analysieren und in einer weiteren Stufe räumlich fortführen.
Momente der Transparenz zeigen sich in den Strichzeichnungen von Theresa Eipeldauer, bei denen es sich um eine Vervielfältigung des Themas Linie handelt, die auf einer Folie und oftmals auch in einem zweiseitig begehbaren Stellwand-Trägersystem eingebaut, die Schwerkraft des Raums aufzuheben scheinen. Mit dieser Trope rekurrieren Eipeldauers Arbeiten auf Friedrich Kieslers Leger- und Trägersystem, das er für die internationale Theater-ausstellung 1924 in Wien entwickelt hatte. Dabei handelte es sich um eine modulare, freistehende Konstruktion von Bühnenelementen, auf denen Objekte und Bilder präsentiert wurden. Ebenso zeigen sich hier inhaltliche Parallelen, wenn Eipeldauers grafische Formationen in einigen Instanzen Referenzen zu Kieslers Formensprache aufweisen. Aus: Heike Maier-Rieper. “Theresa Eipeldauer.” in: 95-2015 Jubilee evn collection. Wien: Verlag für moderne Kunst, 2015.
ANNA MEYER
Geboren 1964 in Schaffhausen, CH. Lebt und arbeitet in Wien, A.
In ihren Werken (Bildtafeln, Zeichnungen, Modellen, Interventionen im öffentlichen Raum) setzt sich Anna Meyer auf ironisch-provokative Art mit der heutigen globalen Kultur und den sozial-politischen und feministischen Themen der neoliberalen Gesellschaft auseinander.
„Gerade die Malerei gab sich in den letzten Jahren angesichts der neoliberalen Globalisierung und der stetig bewusster werdenden Klimakatastrophe immer wieder als bloß ästhetisches Schmankerl, als, um es in den Worten des Philosophen Theodor W. Adorno zu sagen, “Fetisch und müßige Spielerei solcher, welche die drohende Sintflut gern verschliefen”. Die Malerei von Anna Meyer hat da noch nie mitgespielt, vielmehr gehen bei ihr gesellschaftskritische Reflexion, visuelle Bild- und Themenfindung sowie deren formale Umsetzung stets Hand in Hand“. Aus: Raimer Stange „Nostalgia for an age yet to come“.
Die aktuellen Zeichnungen in der Ausstellung sind in der ersten Phase des Corona-Lockdowns März 2020 entstanden und stellen so wieder einen ganz aktuellen Zeitbezug her.
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Josef Bauer | Hertha Hurnaus | Fritz Panzer | Sofie Thorsen
JOSEF BAUER
1934 geboren in Wels (A), Lebt und arbeitet in Linz und Gunskirchen, (A).
Einige Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Josef Bauer, widmeten sich seit den 1950er Jahren der Sprache, um in der Plastik neue Wege zu gehen. Bauer war so wie viele seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen auf der Suche nach einer künstlerischen Sprache, die es ermöglichte, die Welt erneut zu „fassen“. Eine Welt, die mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor riesigen Umbrüchen und Neuerungen stand. Eine Welt in der „Krise“ stellt vor allem Künstlerinnen und Künstler vor große Herausforderungen und vor die Frage, welche Geschichten sich noch erzählen lassen, wenn die erlebten Geschichten schon jede Vorstellung übersteigen. Eine Welt, die aus den Fugen geraten ist, muss gekittet oder besser auf einer anderen Ebene erzählt werden.
Bauers Werk ist von den medientheoretischen und Informationstheoretischen Diskursen der 60er geprägt. “Anfang der sechziger Jahre interessierte mich der Körper im Raum und ich thematisierte den Bereich zwischen Körper und Umgebung.” Josef Bauer.
Als Bauer sich auf den Weg machte, sich die Welt auf einer neuen, abstrakten Ebene anzueignen, wurde ihm bei der Ausformulierung seiner „Bild-Sprachen“ die Schrift immer wichtiger. Aus: Harald Krejci „Explorations, 2019
HERTHA HURNAUS
1951 geboren in Linz (A). Lebt und arbeitet in Wien (A).
Die Fotografien von Hertha Hurnaus sind dem Werk des slowakischen Architekten Vladimir Dedeček gewidmet, das zwischen 1960 und der Wende im Jahr 1989 entstand. Doch die Bilder sind weniger dokumentarisch, als vielmehr eine Hommage an eine Epoche des Aufbruchs in der Architektur. Durch die Konzentration auf Innenräume und Details lassen sich die fotografierten Bauten nur für Kenner unterscheiden. Was sie alle miteinander verbindet, tritt in den Vordergrund: Farbkompositionen, die an abstrakte Kunstwerke erinnern. Kaum eine Autostunde von Wien entfernt, entstanden Bauten, die auf heutige Beobachter eher wie Raumschiffe wirken, die geradewegs aus einer optimistischen Zukunft gelandet zu sein scheinen. Aus: Oliver Elser „Hertha Hurnaus“, 2015
FRITZ PANZER
1945 geboren in Judenburg (A). Lebt und arbeitet in Wien, (A).
Laut Wikipedia wurde die Technik erstmals vor 2000 Jahren in China angewandt. Zur Herstellung eines Druckrahmens bespannte man einen Holzrahmen mit menschlichem Haar und befestigte darauf eine Schablone aus Blättern. So entstand möglicherweise das erste Siebdruckbild.
Die Farbe durch ein Gewebe auftragen. So würde ich die Maltechnik zu diesen Bildern beschreiben, eben um nicht Siebdruck zu sagen. Siebdruck deshalb nicht, weil es mir hier nie um Vervielfältigung ging. Diese Arbeiten sind Unikate.
Der flächige Auftrag von Farbschichten lässt sich mit der Siebdrucktechnik gut machen. Hier allerdings auf einfachste Weise: ein Vorhangstoff meiner Mutter diente als Gewebe, aufgespannt auf einem Holzrahmen, die Schablonen aus Zeitungspapier, die Farbpigmente wurden mit Hautleim angerührt. Fritz Panzer.
SOFIE THORSEN
1971 geboren in Aarhus (D). Lebt und arbeitet in Wien, (A).
Die eingravierten Zeichnungen beziehen sich auf die Farbe und die Form des Steins. Der dünne Strich legt sich in den Vordergrund, dadurch bekommt die Oberfläche des Steins eine Räumlichkeit, die vorher so stark nicht wahrnehmbar war.
Die Steine selbst sind zufällige Fundstücke aus Resten von Steinmetz- und Bauarbeiten. Fragmente von einem Ganzen, das nie mehr zusammenkommen wird.
Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, München fand im Zusammenhang des hundertsten Jahrestags zur Bauhaus Gründung statt. Als eine von fünf Gegenwarts-Künstlerinnen wurde Sofie Thorsen eingeladen, sich mit Bauhaus-Arbeiten aus der Museumssammlung auseinanderzusetzen.
Ihre Bauelemente, großformatige rohe Drahtmodelle, beziehen sich auf 8 kleine Objekte des Künstlers und Architekten Herrmann Finsterlin, die Didyms, wobei Didym für Zwilling oder Double steht. Zum Teil Spielzeug, zum Teil geometrisches Model, zum Teil Prototyp verweigern sich diese farbenfrohen Kombinationen einfacher Formen jeder klaren Definition, sie könnten aber als Prototyp eines Baukasten-Spieles gemeint gewesen sein.
Die Arbeit Schlagschatten (Drehbuch oder Partitur) bezieht sich auf Architektur-Skizzen aus den 1960er Jahren, die Vladimir Dedeček zum Bau der slowakischen National Galerie in Bratislava angefertigt hat. Der Rhythmus der Zeichnungen beruft sich Dedečeks Fassadengestaltung in zwei unterschiedlichen Bauabschnitten. Schlagschatten der Architektur ergeben die rhythmische Abfolge schwarzer Formen. Wir zeigen Vorarbeiten. Die gesamte Partitur ist zu groß, um auf einen Blick gesehen zu werden. Sofie Thorsen.